Klettergeschichte

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Klettergeschichte

100 Jahre freies Klettern in der Südpfalz

An einem Sommertag im Jahre 1903 schlug die Geburtsstunde für das sportliche Klettern im südpfälzischen Wasgau-Felsenland. Die Brüder Karl und Oskar Mugler erreichten nach heftigem Kampf mit der von Moos- und Heidekraut überwucherten Nordwand den Gipfel des Rödelsteins, der wie eine mächtige Buntsandsteinburg über dem Dörfchen Vorderweidenthal in den Himmel ragt. Lange Zeit zuvor, bereits am 3. Juni 1860, war der mächtigste südpfälzer Felsen, der Asselstein, mit der Hilfe von Holzleitern und angelegten Baumstämmen über seine Westwand erklettert worden. Später wurde an diesem Felsen sogar ein festes Drahtseil installiert. Damit führte auf den Asselstein bis Anfang des letzten Jahrhunderts einer der ersten Klettersteige Deutschlands. Doch erst mit der hilfsmittelfreien Erkletterung des Rödelsteins begann das sportliche Klettern in der Südpfalz. Die Nachricht von dieser Erstbesteigung machte schnell ihre Runde unter den damals wenigen Männern, die sich für die zahlreichen noch unbestiegenen Buntsandsteintürme im Felsenland interessierten. Fast aussnahmslos gehörten diese naturverbundenen Burschen dem am 27.11.1902 gegründeten Pfälzerwaldverein an.

Auf dem Gipfel des Asselsteins, ca. 1920er

Nachdem es in jenem Jahr bei dieser einzelnen Tat geblieben war, kam es 1904 zu einem wahren Boom von Erstbesteigungen. Karl Mugler erklomm am 2.6.1904 zusammen mit Dr. Rudolf Scholl den großen Kamin am Hauptgipfel der Fladensteine, dem Brocken. Am gleichen Tag noch bestiegen beide den Ilex-, Jüngstberg-, und den Erlenbacher Turm. Einen Monat später entdeckte Scholl das 20 Meter lange Kriechband am Hundsfelsen und eröffnete mit dem “Byzantinerweg” eine Route, bei der man sich wie vor über tausend Jahren in Byzanz auf dem Bauch kriechend dem Kaiser - in diesem Fall dem Ausstieg zum Gipfel - nähert. Eine Schwierigkeitsbewertung gab es in diesen Pionierjahren des Klettersports noch nicht. Aus heutiger Sicht jedoch überschritten Friedrich und Karl Jung mit der Ersterkletterung des Jungturms bei Annweiler am 6.7.1904 erstmals den 4. Grad.

Im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts wurden durch diese ersten Pioniere, zu denen auch Albert Grimmeisen, Dr. Heeger, Dr. Karl Petry, Karl Wendel, Jakob Otto und August Bauer gehören, die meisten der grossen Felstürme der Südpfalz auf den heute sogenannten Normalwegen bestiegen. Oft erhielten die zum Teil namenlosen Felsen auch den Namen des Erstbesteigers, wie beispielsweise Jung-, Holder- und Heegerturm.

Eine frühe Begehung des Normalwegs am Jungturm (orginal von rechts eingequert)

Ein Teil der Felsnadeln, die unweit eines Massives stehen, wurden mittels Seilüberwurf oder wie die Hochsteinnadel bei Dahn mit Hilfe eines über die Kluft gelegten Baumstammes bezwungen. Einige der Kletterpioniere zögerten auch nicht, eine nicht kletterbare Passage mittels geschlagener Griffe zu bezwingen. Spuren dieses Tuns findet man noch heute an vielen Normalwegen. Insofern wurde natürlich in den ersten Jahren der Pfalzkletterei nicht ausnahmslos hilfmittelfrei geklettert. Alle Türme und Nadeln, die zuvor mittels Seilüberwurf erstbestiegen wurden, fanden jedoch nach und nach ihre freien Begehungen. Die erste sportlich faire Erkletterung des Asselsteins durch Emil Ney, Ernst Schlemmer und Rudolf Schonger am 21.9.1909 wurde den Berichten der Erstbegeher zufolge ohne Schlagen von Griffen durchgeführt. In einem Zeitdokument aus dem Jahre 1913 beklagt man sich allerdings darüber, dass unbekannte Täter den Normalanstieg auf den Asselstein durch geschlagene Griffe “verstümmelt” hätten. Die ursprüngliche Kletterei war somit wesentlich schwerer als der heutige “leichte vierer.”

1910 - 1940

Honig

Von 1910 bis 1920 wurde die Entwicklung des pfälzischen Kletterports vor allem durch die Ludwigshafener Brüder Fritz und Theo Mann geprägt. Nicht nur spektakuläre Gipfel wie Sternfels, Hauensteiner Puppe, Stuhl und Theoturm erkletterten sie als erste, auch neue, schwierige Routen durch die Wände setzten sie sich zum Ziel. Um die erste freie Erkletterung der letzten und schwierigsten Felstürme lieferten sich die Mann-Brüder Ende des 2. und Anfang des 3. Jahrzehnts des vorigen Jahrhunderts einen Wettlauf mit den Brüdern Matheis aus Rodalben, die den Ludwigshafener Turm und die Adelsnadel im Jahre 1921 als erste erkletterten. Im Gegenzug gelang den Brüdern Mann dann ein Jahr später die erste Erkletterung des Honigfelsen im Bärenbrunner Tal. Mit diesen Routen der Brüder Mann sowie mit der durch die Matheis Brüder erstmals gekletterten “Bockverschneidung” am Bockfels wurde mit der damals recht bescheidenen Ausrüstung der sechste Schwierigkeitsgrad mehfach überschritten, obwohl er für die Jahrzehnte danach als die äußerste Grenze des Menschenmöglichen galt. Im Jahr 1923 setzte Phillip Pfundstein, der bereits 1920 zusammen mit Rudolf Christmann den “Rolfkamin” erstbegangen hatte, zusammen mit Karl Schmidt mit seinem “Pfundstein-Schmidt-Riss” ebenfalls am Asselstein und anderen, für damalige Verhältnisse äusserst schwierigen und gewagten Routen, neue Marksteine.

Theoturm Normalweg V+, auch heute noch ein Testpiece, erstbegangen bereits 1914

Bereits am 12. Oktober 1919 hatten sich alle damaligen Akteure in der Vereinigung der Pfälzer Kletterer (PK) zusammengeschlossen, die am Fuße des Asselsteins gegründet wurde, und nach dem Kletterpionier Jakob Otto, später von 1926 bis 1937 von Fritz Mann als erstem Vorsitzenden geleitet wurde.

In den dreißiger Jahren bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges wurden viele der heute als klassisch-schwierig eingestuften Routen erstbegangen. Vor allem Richard Scheerer und sein Freund Heinrich Kauther sorgten mit neuen Routen wie zum Beispiel “Adelsnadel, Talwand” und “Ludwigshafener Turm, Alte Südwand” für Gesprächsstoff in der noch relativ überschaubaren Kletterszene. Mit Rudi Scheiber, Emil Gessner und Fred Frey, der die Entwicklung des Pfalzkletterns bis weit nach dem zweiten Weltkrieg geprägt hat, betraten damals junge Akteure die Kletterbühne. Sie eröffneten in den Jahren bis 1939 an den zum Teil über vierzig Meter hohen “Paradefelsen” der Pfalz wie Büttel-, Hirt-, Bockfels eine “Große Südwand” nach der anderen.

1950 - 1980

Klosterwand

Als sich nach dem Krieg Fred Frey und Hans Laub zu der wohl erfolgreichsten Seilschaft der Pfalz verbanden, haben mehrere gravierende Änderungen stattgefunden. Nicht mehr ausschließlich die freistehenden Gipfel, sondern auch die bis dahin unberührten vielen Massive wie Heidenpfeiler, Jungfernsprung, Buhlsteinpfeiler, Backelstein und Trifels wurden nach und nach zu begehrten Kletterzielen. Bereits im Jahre 1939 wurde von Rudi Scheiber und Alfred Stabel an der Klosterwand im Bärenbrunnertal eine der ersten grösseren Hakentouren der Pfalz eröffnet. Ähnlich der damaligen Entwicklung im alpinen Klettern war die Fortbewegung mittels geschlagener Haken und Trittleitern kein Tabu mehr. Freilich wurde diese Änderung von einigen der älteren Erschließer durchaus nicht als Fortschritt angesehen. Der über zwanzig Jahre später, in der Zeit des Hakenstreites häufig gebrauchte Ausdruck “Feiglingkletterer” war auch in jener Zeit häufig am Fels zu hören.

Über 500 Routen, überwiegend in freier Kletterei, aber zur Fortbewegung teilweise auch Knotenschlingen verwendend wurden in einem Zeitraum von über eineinhalb Jahrzehnten von Hans Laub und Fred Frey erschlossen. Darunter die absoluten Pfalz-Klassiker wie “Pferchfeld-Südwandrisse”, “Nonnenfels-Jubiläumsriss”, “Bruchweiler Geierstein-DAV-Weg” und “Rödelstein- Dezemberweg” und “Oliverweg”. Ebenfalls in den fünfziger Jahren machten Walter Ehrhardt und Karl Mühe zusammen mit ihren Freunden Werner Doll und Hugo Erhart ihre ersten Neutouren wie die “Südostkante” am Asselstein und den “Luger-Tor-Weg” an den Wernersberger Geiersteinen. Im darauffolgenden Jahrzehnt waren vor allem Udo Daigger sowie Franz Schwarzmüller und Robert Breitsch auf Neulandsuche. Auch Elmar und Hugo Hasselwander aus Hauenstein sowie Hans-Peter-Dietrich, Roman Koch und Winfried Eberhardt sorgten dafür, dass Jahr für Jahr neue Routen dazukamen. In dieser letzten Episode der klassischen Erschließung wurden der “Julius-Schantz-Gedächtnisweg” am Luger Geierkopf, die “Rote Wand” am Backelstein, die “Petra-Route” und “Katerweg” am Asselstein, die “Graue Wand” an der Wilgartisplatte sowie der “Lange Amenweg” am Spirkelbacher Rauhbergpfeiler erstmals geklettert.

1980 - 1990

Sportklettern

Als sich Mitte bis Ende der siebziger eine neue Generation zu Wort meldete, kam es zu einem der gravierendsten Einschnitte in der Geschichte des pfälzischen Klettersports. Thomas Nöltner war wohl einer der ersten, der die Leistungsgrenze über den siebten Grad hinaus weiterentwickelte. Mit der aus der Sächsischen Schweiz übernommenen Methode des echten hilfsmittelfreien Kletterns gelangen ihm Routen wie “Lineal” an den drei Felsen und “Reibeisen” am Büttelfels. Mit der “Superlative” am Bruchweiler Geierstein, geklettert von Wolfgang Güllich und Thomas Nöltner, wurde im Jahre 1978 der achte Schwierigkeitsgrad erreicht. Einzig die Machart der neuen Routen, die nun aufgrund der enorm gesteigerten Schwierigkeiten vor der Ersterkletterung von oben inspiziert und mit (wenigen) Ringen versehen wurden, führte zum Konflikt mit der Klettertradition.

Eine sich über ein ganzes Jahrzehnt hinausziehende Auseinandersetzung, die von scharfen Gegensätzen zwischen den Vertretern der traditionellen Richtung und den Akteuren der Freikletterbewegung geprägt war, vergiftete das Klima im Klettergebiet. Die Vereinigung Pfälzer Kletterer (PK) war damals durch ein Votum der klettersporttreibenden Verbände der Pfalz als Hüter über die damaligen Kletterregeln legitimert worden, geriet aber, bedingt durch die rasante internationale Entwicklung im Sportklettern und dem enormen Zuwachs an leistungsstarken jungen Kletterern, zunehmend ins Abseits der klettersportlichen Entwicklung. Anfang der neunziger Jahre fand in der PK eine Kurskorrektur statt. Die vom Verein im Jahre 1990 verabschiedeten “Richtlinien für sanftes Klettern im Wasgau Felsenland”, in denen eine maßvolle Erschließung von Kletterrouten von oben, als auch die Benutzung von von Magnesia in den obersten Schwierigkeitsgraden toleriert werden, wurden allgemein akzeptiert. Seither ist die PK der von Behörden und Naturschutzverbänden akzeptierte kompetente Partner für alle Belange des Klettersports in der Pfalz.

Während und nach dem “Pfälzer Hakenstreit” fand eine explosionsartige Steigerung der gekletterten Schweirigkeiten, als auch der mit den unterschiedlichsten Methoden eröffneten Routen statt. So kletterten Wolfgang Güllich und Wolfgang Kraus mit “Im Westen nichts Neues” am Nonnenfels im Jahre 1980 bereits im unteren neunten Grad. Dieter Klan eröffnete die mit “absägefesten” dicken Ringen ausgestattete Route “Herr der Ringe” am Hochstein im achten Grad im April 1981. Bei einem Besuch in der Pfalz kletterte Nico Mailänder zusammen mit seiner Frau Liz im gleichen Jahr die “Geierwally” (VII) an den Luger Geiersteinen und Ernst Hunsicker erschloss zusammen mit Udo Daigger von unten den “Ikarus” (VIII-) an der Adelsnadel.

1982 kletterten Michael Schindler und Hans-Jürgen Cron die “Maitrauer” (VIII+) am Rötzensteinpfeiler, die sie dem im Mai des gleichen Jahres am Cho Oyu ums Leben gekommenen Reinhard Karl widmeten. 1984 ließ Lothar Hartmann auf zunächst klassische Art den “Magnetfinger” am Burghaldefels technisch entstehen, der dann für Jahre zur Messlatte für jeden aufstrebenden Sportkletterer wurde. Am Jungturm eröffnete Rainer Scharfenberger von unten im Jahre 1988 die “Walpurgisnacht” (VIII-) und am Bundenthaler Turm kletterte Roland Petrovecki zusammen mit Bernd Buchmann im Jahre 1989 “La Cubera” im oberen achten Grad. Hans-Jürgen Cron gelingen im gleichen Jahr die Neun-minus-Route “Alles unter Konzentrolle” am Jungturm und als Highlight die “Denkmalpflege” an den Dürrensteinen, mit Zehn-minus eine ganz harte Nummer, die seither aufgrund eines Griffausbruchs nicht mehr geklettert wurde. 1990 - heute

Auch in den neunziger Jahren wurden eine ganze Reihe hervorragender Routen in den höchsten Schwierigkeitsgraden eröffnet: 1992 " Windjammer" mit Neun-minus an den Fischfelsen von Michael Schlotter. Am Asselstein entsteht im gleichen Jahr die “Nord-West-Passage” , als Gemeinschaftsleistung von Hans-Jürgen Cron, Ralf Burkhardt, Karin Spengler und Peter Weinrich im oberen achten Grad. Im Jahre 1994 eröffnet Florian Eigler “Gamba” im oberen neunten am Retschelfels und “Mekka” im unteren zehnten Grad am Nonnenfels. Zwei Jahre später klettert Jens Richter “Manege frei” am Bruchweiler Geierstein, im unteren neunten Grad.

2000 - heute

Gleich zu Beginn des neuen Jahrtausends kreiert und klettert Andi Ziegler an der Adelsnadel den “Dädalus”, eine weitere Neun-Minus und am Bavariafels wird von Mike Roith “Falkland” im Sieben-Minus-Genussbereich erstbegangen. Ein Jahr darauf kommt die vom jungen “Shooting-Star” der pfälzer Kletterszene Lutz Limburg erstmals gekletterte “Gambaxplosion” am Retschelfels, die den unteren elften Grad berührt, als vorläufiger Höhepunkt dazu. Auch leichtere Roten wie die “Profilneurose” am Lauterschwaner Rappenfels, gefunden und geklettert von Wolfgang Peter und Jürgen Heinemann werden im Jahre 2001 eröffnet. Elke Hamm erschließt mit der Neun-minus Route “Ladys First” am Backelstein im selben Jahr eine weitere schöne Linie. 2002 klettert Daniel Meyerer am Burghaldefels “ZEC” im zehnten Grad. Rainer Scharfenberger und Silka Pierson widmen dem im gleichen Jahr tödlich verunglückten “pfälzer Original” Georg (Schorsch) Weiß die Route “Goodbye Schorsch” im achten Grad am Asselstein.

So ist heute festzustellen, dass, obwohl die Erstbegehungsmöglichkeiten in der Pfalz seit Jahren als nahezu erschöpft gelten, es immer wieder kreative Erschließer gibt, die mit lohnenden Erstbegehungen überraschen. Noch vor einigen Jahren gab es einen umstrittenen Trend zu großflächigen Erschließungen, der berechtigterweise die Kritik der Kletterer und den Ärger mit den Naturschutzbehörden auslöste. Die in jüngster Zeit gemachten wenigen Erstbegehungen weisen in eine andere, erfreulichere Richtung. Erwähnenswert ist auch der in den letzten Jahren zunehmende Trend zum Bouldern im südpfälzischen Wasgau-Felsenland und darüber hinaus in der ganzen Pfalz.

Weitere ausführliche und interessante Informationen zur Klettergeschichte der Südpfalz können in dem Buch “Hoch hinaus im Pfälzer Wasgau” nachgelesen werden.

© 2003 PK